Wachstum und Form

Master Thesis Anna Christina Miklavcic

Der Hauptteil eines Pilzes befindet sich unter der Erde, wo sich Millionen von Hyphen mit zahlreichen Wurzeln von Pflanzen verbinden. Oft beachten wir biologische Zusammenhänge nicht, da sie zu klein, zu langsam oder zu schnell sind, um sie mit bloßem Auge zu erkennen. Man könnte sagen, dass der Boden eine lebende Matrix ist, deren Verhaltensweisen und Bestandteile viel komplexer sind als vermutet. Der Wald ist nicht einfach eine Sammlung unabhängiger Teile und Individuen, er ist ein dynamisches Gebilde. Pilze und Mikroben leben aber nicht nur in und mit Bäumen, Pflanzen und Boden, diese kleinen Organismen befinden sich auch überall auf und in unserem Körper. Ein großer Teil unseres Körpers besteht aus nicht menschlichen Zellen, die sich aus Pilzen, Bakterien und Viren bilden. In all diesen lebenden Gemeinschaften, die durch Beziehungen verschiedener Arten entstehen, finden wir Intelligenz, Kommunikation, Energie, aber auch Gestaltung. Die Natur bietet mit ihrer Erscheinungsform Ordnungsprinzipien, Rhythmus, Strukturen, Nutzen, Schönheit, aber auch Chaos, Störung und Disharmonie.

Im Rahmen ihrer Masterarbeit „Wachstum und Form“ möchte Anna Miklavcic in einen interdisziplinären Austausch zwischen Gestaltung und Naturwissenschaft treten. Grundlegend geht es um die ästhetisch und künstlerisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Mykologie. Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind die organischen Formen und morphologischen Strukturen, die sich aus pilzlichen Wachstumsprozessen ergeben. Das heißt, Pilzmaterie wird untersucht, analysiert, visuell übersetzt und als Inspiration für eine neue Bildsprache verwendet. Im Zentrum des Projekts steht die Frage, wie sich durch die künstlerische Betrachtung eines Organismus und durch das Nutzen natürlicher Prinzipien neue visuelle Möglichkeiten ergeben. Geschichtlich gesehen war die Natur schon immer eine beliebte Inspiration für Künstlerinnen und Designerinnen. Die Arbeit greift das Konzept der Naturinspiration auf und fokussiert sich neben dem Bereich der Mykologie auch auf das Naturstudium. Form- und Strukturstudien bilden dabei die Grundlage der künstlerischen Auseinandersetzung, denn die organische Gestalt wird beobachtet und ihre Wachstumsmuster vergegenwärtigt. Die Ergebnisse und Erkenntnisse werden in Muster, Visualisierungen und freie Adaptionen übertragen. Mit konventionellen Methoden und experimentell-visuellen Versuchen wird so ein Bogen zwischen Tradition und Gegenwart gespannt.

Um die sonst so mikroskopisch kleinen Pilzstrukturen großflächig sichtbar zu machen wurden die Ergebnisse in textile Objekte übersetzen. Dadurch wird nicht nur eine Überleitung zu den Hyphen, den fadenförmigen Zellen der Pilze, geschaffen, sondern auch die Thematik des Netzwerks und der pilzlichen Verbindungen aufgegriffen. Die Anpassungsfähigkeit der Teppiche und das Darüberlegen ist auch eine Metapher dafür wie Pilze Dinge überwuchern und vereinnahmen. Zudem wird die Arbeit haptisch erfahrbar, anfassbar und eigentlich auch „begehbar“. Für die Herstellung der teppichartigen Gebilde wurde die Technik des Tuftings angewandt. Tufting ist ein Verfahren zur Teppichherstellung, das ähnlich wie eine klassische Nähmaschine funktioniert. Fäden werden durch das Einnadeln mit einer Tufting-Pistole in einem entsprechendem Trägergewebe fixiert, sodass eine eine textile dreidimensionale Fläche entsteht.

Die Arbeit „Wachstum und Form“ an der Schnittstelle zwischen Gestaltung und Naturwissenschaft möchte dazu inspirieren, fachfremde Impulse zuzulassen und sich in neue Disziplinen zu wagen. Gleichzeitig war es ein großes Anliegen, die Ressourcen als Gestalterin nicht nur für die Produktion von rein ästhetischen Werken zu nutzen, sondern immer auch eine gesellschaftskritische Perspektive einzunehmen. Das Projekt möchte beispielsweise auch dazu auffordern, das Verhältnis von Mensch und Natur zu hinterfragen.

Fotos: Zita Frohloff, Sebastian Wanke, Anna Miklavcic

Wachstum und Form
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